Die Nachrichten aus dem Tiergarten Nürnberg haben diese Woche viele Menschen aufgewühlt. Es ist einfach ein sehr emotionales Thema, wenn es um das Töten von Tieren geht, jedoch auch sehr wichtig, das Thema zu versachlichen. Nur so lassen sich auch Argumente austauschen, ohne dass es – wie sonst sehr häufig im Social-Media-Kontext – zu verbalen Entgleisungen kommt, die keinen vernünftigen Diskurs zulassen.

Die Entscheidung in Nürnberg ist sicher niemandem leicht gefallen. Wir kennen die handelnden Personen dort persönlich und schätzen deren Fachkompetenz. Auch in der Sache, eine Bestandsregulation der Paviane anzugehen und einige Tiere zur Verfütterung an Löwen und Geier zu töten, stehen wir hinter Nürnberg. Die Kollegen haben auf dieser Seite alle Vorgänge sehr offen und transparent zusammengetragen: https://tiergarten.nuernberg.de/populationsmanagement-paviane

Grundsätzlich ist das, was in Nürnberg gemacht wurde, vergleichbar mit unserem Populationsmanagement bei einigen Arten. Wir züchten etwa Wisente. Diese waren in der Natur vom Menschen ausgerottet. Zoologische Einrichtungen haben sich in einer großen Erhaltungszucht zusammengetan, um die Art zu retten. Dafür wurde und wird viel gezüchtet. Einige Tiere gehen in die Auswilderung (https://www.ardmediathek.de/video/landesschau-rheinland-pfalz/die-karlsruher-zoo-docs/swr-rp/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIwOTkxMzc), wir haben aber viel mehr Nachzuchten. Diese werden dann entweder zur Verjüngung der Gruppe eingesetzt, an andere Zoos abgegeben – oder gehen bei uns in den Futterkreislauf. Auch wir sind dabei ganz offen und kommunizieren dies immer wieder transparent (https://www.ardmediathek.de/video/landesschau-baden-wuerttemberg/mika-und-die-zoo-babys-neue-abenteuer-im-tierpark-oberwald/swr-bw/Y3JpZDovL3N3ci5kZS9hZXgvbzIyNTM3NTY).

Raubtiere fressen Fleisch. Dafür müssen Tiere sterben. Wir können im Zoo Karlsruhe mit den bei uns gezüchteten und zur Verfütterung getöteten Tiere derzeit etwa 20 Prozent unseres Fleischbedarfs der Zootiere abdecken. Tiere aus dem eigenen Bestand sind sowohl aus Tierschutzgründen (keine Massentierhaltung, Tötung direkt vor Ort, kein Schlachthof) als auch unter klimaschonenden Gesichtspunkten (deutlich geringerer CO₂-Footprint) der konventionellen Fleischerzeugung vorzuziehen.

Bei uns zur Verfütterung getötete Tiere ermöglichen uns zudem Ganzkörperfütterungen. So bekommen Raubtiere neben Fleisch und Fett auch Innereien, Knochen, Sehnen und Fell oder Federn. Diese enthalten wichtige Nährstoffe, die die Tiere auch in der Natur mit ihrer Nahrung aufnehmen. Für die Raubtiere ist das Eröffnen ganzer Beutetiere zudem eine gute und natürliche Beschäftigung.

Der unten geteilte Beitrag war eine Pressemitteilung von uns aus dem vergangenen Januar. Auch da haben wir uns intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt und dies an die Öffentlichkeit getragen.

Beitrag vom 8. Januar 2025:

Für den Artenschutz müssen auch Tiere sterben

Wissenschaftlicher Diskussionsbeitrag in Fachmagazin: Zoos werden bei Erhaltungszuchtprogrammen zum Umdenken aufgefordert

Um ihren gesellschaftlichen Auftrag zum Erhalt von Reservepopulationen in menschlicher Obhut auch in Zukunft umsetzen zu können, müssen Zoologische Einrichtungen auch immer wieder Tiere töten. Zu dieser Schlussfolgerung kommen zwölf Wissenschaftler und Zoo-Experten in einem wissenschaftlichen Diskussionsbeitrag, veröffentlicht in der renommierten Zeitschrift „Proceedings of the National Academy of Sciences“ (PNAS). Ex-situ-Artenschutz, also außerhalb des eigentlichen Lebensraums, gelinge nur durch ein Management der Bestände. Dazu gehöre eben auch, einzelne Tiere zu töten und etwa an andere Zootiere zu verfüttern, so die Experten.

Gesetzgeber und Zoos werden dazu aufgefordert, ihre Strategien zum Management der Zootierpopulationen zu überdenken. Im Gegensatz zu Tieren in der Natur sind Zootiere nicht von Nahrungsmangel oder Beutegreifern bedroht, zudem werden sie tiermedizinisch betreut. Dadurch haben sie meist eine deutlich höhere Lebenserwartung als ihre Artgenossen in der Natur. Dies stellt Zoos vor zunehmenden Herausforderungen, da ihre Haltungskapazitäten begrenzt sind.

Vor zehn Jahren entfachte das Töten und Verfüttern von Marius, einer zweijährigen Netzgiraffe im Zoo von Kopenhagen, eine internationale Debatte darüber, wie Zoos mit überzähligen Tieren umgehen sollten. Einige Menschen waren empört über die Idee, gesunde Tiere zu töten. Nicht erst seit diesem Ereignis schränken zahlreiche Zoos eher die Fortpflanzung ihrer Tiere ein, als gesunde Tiere töten zu müssen. Dieser Weg scheint zunächst eine logische Win-Win-Lösung zu sein: Es werden keine überzähligen Tiere gezüchtet, eine öffentliche Empörung bleibt aus – und damit entfällt auch die potentielle Gefahr finanzieller Verluste durch ausbleibende Zoogäste.

In dem vor wenigen Tagen erschienenen Diskussionsbeitrag argumentieren die Experten jedoch, dass die weit verbreitete Anwendung solcher Praktiken zur Fortpflanzungskontrolle die Erfüllung der Aufgaben moderner Zoos gefährdet. Sie schreiben, dass dadurch die Altersstrukturen und das Wohlbefinden von Zootierpopulationen negativ beeinflusst werden. „Nachzucht zu verhindern, verwehrt erwachsenen Tieren die Erfüllung einer ihrer grundlegenden evolutionären Triebe“, betont Prof. Dr. med. vet. Marcus Clauss von der Uni Zürich, Hauptautor der Studie. „Mit der Zeit werden Zoopopulationen außerdem immer älter, was das Grundprinzip der Zoos gefährdet, sich selbsterhaltende Populationen zu bewahren.“ Überzählige Tiere könnten nicht immer in anderen Einrichtungen untergebracht werden „Der Platz in den Zoos ist meist erschöpft. Auswilderungen kommen zumindest bisher nur selten infrage und bedürfen zudem einer immens langen Planung und Vorarbeit.“

Anstelle von übermäßiger Fortpflanzungskontrolle plädieren die Autoren für das geplante Töten überzähliger Zootiere als „rationale und verantwortungsvolle Maßnahme im Populationsmanagement“. Dies würde den Zoos helfen, ihre Aufgaben im Artenschutz besser zu erfüllen. Gleichzeitig wäre es auch ein Gewinn für die Bildungsarbeit der Zoos. „Jedes Jahr besuchen weltweit mehr als 700 Millionen Menschen Zoos“, sagt Co-Autor Dr. Marco Roller, Tierarzt und Kurator im Zoo Karlsruhe. „Die Einrichtungen haben damit ein enormes Potential, das öffentliche Verständnis für das Sterben von Tieren als einen natürlichen Prozess zu prägen. Wenn sie den Tod aus dem Bewusstsein der Besuchenden verdrängen, schaffen sie jedoch unrealistische Erwartungen an das Leben in der Wildnis.“

Vor dem Hintergrund, dass Zoos heute laut Weltnaturschutzunion IUCN eine zentrale Rolle im Artenschutz spielen, könnten überalterte Populationsstrukturen und eine veränderte öffentliche Einstellung zum Tod von Tieren weitreichende Folgen haben. „Viele Tierarten sind bereits heute vom Aussterben bedroht und die Zahl steigt stetig. Es ist unerlässlich, dass Zoos fortpflanzungsaktive Populationen erhalten und ihr Personal mit der Zucht und dem Umgang mit Jungtieren erfahren bleibt. Was wir nicht brauchen, ist eine Sammlung geriatrischer Tiere und Veterinärmediziner, die sich auf Palliativpflege konzentrieren“, fügt Roller hinzu. Nur wenn es gelinge, fortpflanzungsaktive, genetisch gesunde Zootierpopulationen mit einer natürlichen Altersstruktur zu managen, können Zoos auch in Zukunft Arten vor dem Aussterben bewahren und Tiere für Wiederansiedlungen zur Verfügung stellen.

Während die Tötung charismatischer Säugetiere oft Kontroversen in den Medien auslöst, zeigen wissenschaftliche Auswertungen, dass die öffentliche Meinung ausgewogener ist. Das Töten und gegebenenfalls Verfüttern von Tieren wird von Zoogästen keineswegs generell abgelehnt. „Zoos haben die Verantwortung, Besuchende über die Realität von Leben und Tod im Populationsmanagement aufzuklären“, sagt Clauss. „Transparente Kommunikation kann helfen, die öffentliche Wahrnehmung darüber mitzugestalten und die Gesellschaft von der Notwendigkeit eines entsprechenden Managements zu überzeugen.“

„Die Jungtieraufzucht ist elementarer Bestandteil im Leben sehr vieler Tierarten, ist auch durch andere Beschäftigungen nicht zu ersetzen. Zudem haben wir den Vorteil bei Zootieren, die wir verfüttern, dass diese bis zur Tötung ein sehr gutes Leben hatten, was nicht immer garantiert ist beim Zukauf von Tierkörpern. Und darauf sind unsere Fleischfresser angewiesen. Bei der Verfütterung von getöteten Zootieren an andere Zootiere können zudem Ganzkörperfütterungen ermöglicht werden. Eine gesunde und ausgewogene Ernährungsform“, so der Karlsruher Zootierarzt. Der Beitrag schließt mit einem Appell an Gesetzgeber und Institutionen, Zoos zu unterstützen, solche Praktiken verantwortungsvoll umzusetzen. „Indem Zoos auch junge, gesunde Tiere aus Managementgründen töten, können sie ihre Rolle im Artenschutz und in der Aufklärung der Öffentlichkeit viel besser erfüllen“, stellt Roller heraus. „Dies könnte entscheidend für das Überleben von Arten sein.“

Hier ist der Artikel online abrufbar: https://doi.org/10.1073/pnas.2414565121